Zeitgeist präsentiert MARLON BRANDO

„Er war von Natur aus brillant, aber es war alles verschleudert, beinahe als wenn ihm schon früh eingebleut worden wäre, er sei wertlos und ein Nichts. Doch seine Arbeit war so rein und voller Schönheit, dass man nicht gar erklären konnte, woher es kam. Er liebte das Schauspielen zwar nicht -er liebte weder das Theater oder den Film, noch respektierte er sein eigenes Talent- aber seine Gabe war so großartig, dass er sie nicht besudeln konnte. Er konnte an Körpergewicht zulegen, er konnte sagen, dass seine Gabe Scheiße sei - aber er konnte sie nicht zerstören.“
 Julie Harris

Marlon Brando war kein Schauspieler.

Er war mehr als nur ein Darsteller von psychologisch komplexen und ausgereiften Figuren, mit all ihren Sehnsüchten und Illusionen.

Marlon Brando spielte keine Emotion.

Er spielte mit den Emotionen - und den schauderhaften Abgründen, die sie hinterlassen.

Marlon Brando war ein Spiegel seiner eigenen Kreativität, seiner eigenen Menschlichkeit und seiner eigenen Kunst. 

Er war ein Spiegel der über die reine Darstellung einer Oberflächlichkeit, sei sie noch so brillant und ausgefeilt, nicht nur hinausgeht, sondern die Kunst des Schauspiels auf eine neue und höhere Stufe der Selbsterkenntnis stellt.

Besagter Titan, 1924 als Sohn eines Handlungsreisenden und einer Schauspielerin in Omaha geboren, zieht 1943 aus der amerikanischen Provinz nach New York.

Im gleichen Jahr meldet sich er sich bei dem "Dramatic Workshop" an - einer freien Schauspielklasse welches der deutsche Regisseur Erwin Piscator an der New School, 1940, eingerichtet hatte und welche später Berühmtheit erlangte, weil sie - neben Marlon Brando selbst- andere bedeutende Künstler wie Harry Belafonte, Tony Curtis oder Walter Matthau hervorbrachte.

Weitaus größere Bedeutung als die Arbeit mit Piscator, sollte für Brando allerdings die schicksalhafte Begegnung mit der genialen Stella Adler sein , die dem Lehrkörper als Schauspiellehrerin angehörte.

Stella Adler, die mit dem legendären Lee Strassberg die "Method" lehrte -eine amerikanisierte Version, der im beginnenden 20.Jahrhunderts ausgehenden Schauspielmethode des russischen Schauspielers, Regisseurs und Theaterreformers Konstantin Stanislawski, der einen radikalen Naturalismus, nicht nur inner- und außerhalb der Darstellung, sondern ein komplettes historisches, psychologisches und emotionales Verständnis der jeweiligen Figur durch den Schauspieler forderte - war die erste und einzige Person die ein wirklicher professioneller und emotionaler Mentor für Brando wurde.

Sie war es, die den Grundstein legte für die meisten künstlerischen Entscheidungen legte, die Marlon Brando, in der Zukunft treffen sollte.

Nach Konflikten mit Erwin Piscator musste Brando den Workshop, im Sommer 1944, verlassen.

Mit 20 Jahren steht Marlon Brando nun auf der amerikanischen Theaterbühne und überzeugt Publikum und Kritiker, in Stücken wie John Van Drutens "I Remember Mama", Ben Hechts "A Flag is Born" oder George Bernard Shaws "Candida".

Er wird zur Sensation am Broadway. Durch die Vernetzung von Stella Adler und der Protegierung durch die einflussreiche Brodwayagentin Edith Van Cleve gelang es ihm schließlich, mit 23 Jahren, die Zusage für die, mehr als begehrte Hauptrolle in einer Bühnenproduktion des 1946 entstandenen Schauspiels "A Streetcar Named Desire" von Tennessee Williams und mit Elia Kazan als Regisseur, zu erhalten.

Seine Darstellung des Stanley Kowalski, die im Stück eher als eindimensionale Figur angelegt ist, brach alle bisherigen Konventionen amerikanischer Schauspielbühnen.

Er etabliert eine neue rohe und gleichzeitig zarte Männlichkeit, die sich ihrer Insensibilität und zerstörenden Stärke bewusst ist. Ein gewaltige schauspielerische Darstellung als existenzieller Schrei nach Liebe, Verständnis und Aufmerksamkeit gepaart mit einer unterschwelligen, von Selbstzweifeln geplagten und schier unerträglichen sexuellen Ausstrahlung.

Er bricht mit dem Stück alle Zuschauerrekorde und erobert durch seinen, mit einer außerordentlicher Brutalität unterlegten, Charme die Herzen der aufbegehrenden jungen amerikanischen Generation.

Nach dem großen Erfolg wechselt das Stück ihr Medium und Marlon Brando gleich mit ihr.

Die Verfilmung der Brodwayinszenierung, die 1951 zum Welterfolg avancierte, war der Schlüssel für die Türen und der Herzen von Hollywood, die ihn ihm lediglich als einen weiteren Jungen vom Lande sahen, dessen Gesicht sich momentan am besten verkaufen lässt.

Er kam, 1952, nach Hollywood und nicht die Filmindustrie vereinnahmte ihn, sondern er sie.

Brando diktiert, streicht astronomische Gagen ein, verschwendet sie gleichgültig dreht Filme die gigantische kommerzielle Flops werden, vom Historienfilm bis zum selbst inszenierten Western und entzieht sich immer wieder erfolgreich der vermarktenden Öffentlichkeit.

Im selben Jahr spielte Marlon Brando die Titelrolle in dem Film "Viva Zapata" neben Anthony Quinn und wiederum unter der Regie von Elia Kazan, wofür er in Cannes als "Bester Schauspieler des Jahres" ausgezeichnet wurde.

Für seine Rolle des "Julius Caesar" in dem gleichnamigen Film wurde Brando 1953, als dem ersten amerikanischen Schauspieler überhaupt, der "British Film Academy Award" verliehen. Es folgte "Der Wilde" mit dem er seinen Ruf als Rebell Hollywoods festigte und zum Idol der westlichen Hemisphäre wurde, indem er auf die Frage wogegen er demonstriere entgegnet: "Was hast Du anzubieten ?"

Weitere Filme folgten, wie, 1954, das naturalistische Meisterwerk "On The Waterfront" oder der Film "Desiree", welcher aus einem Rechtstreit mit dem Studio MGM resultierte und in dem Brando, einen liebeskranken und psychologisch wenig nuancierten Napoleon spielte.

Nach dem Welterfolg von "A Streetcar Named Desire", verbündete sich Brando zum nun dritten Mal mit Elia Kazan, um mit vereinten Kräften, einen sozialkritischen Stoff zu verfilmen, an dem Kazan jahrelang arbeitete und der so nicht in das klassische Hollywoodgefüge gepasst hätte.

Es wurde mehr als lediglich ein Film.

"On The Waterfront" wurde eine Herausforderung für die Werte und Moralbegriffe der amerikanischen Gesellschaft ihrer Zeit.

Brando nutzte die großen Freiheiten die ihm, ein so brillanter, Schauspielregisseur wie Elia Kazan für die Herauserarbeitung der Rolle ließ, um all seine Ängste und Zweifel, all seine Leidenschaften und Schwächen, all die Schatten die in seiner Seele wohnen, zum ersten Mal in seiner Laufbahn zu bündeln, und sie in einem eruptiven Vulkan emotionaler Ausbrüche zu verwandeln.

Nach Fünf Academy-Award-Nominierungen für die ersten sechs Filme, erhielt Brando für die Verkörperung, des gescheiterten Boxers Terry Malloy in " On The Waterfront ", 1954, einen Oscar und verhöhnte damit all seine populären amerikanischen Kritiker, die in ihm nichts anderes sahen, als einen mumbelnden, störrischen und zurückgebliebenen Hinterwäldler.

Später posierte er genüsslich und mit dem Wissen um seine neu gewonnene Macht, mit Katherine Heburn, seinem weiblichen Pendant an diesem Abend, für die zahlreichen Fotografen.

Nach den wenigen Filmen, die sich Brandos urtümliche schauspielerische Kraft zunutze machen konnten, wie "A Streetcar Named Desire", "The Wild One" oder -in Auszügen- "On the Waterfront", wurde Brandos Natur schnell versteckt, maskiert, kostümiert, entschärft oder unkenntlich gemacht.

Es folgen -1956- die seichten Komödien "Guys and Dolls" mit Frank Sinatra und inszeniert von Joseph L. Mankiewicz, "The Teahouse of the August Moon", die Liebesgeschichte "Sayonara" und - 1957- das Weltkriegsdrama "Die jungen Löwen" von Bernhard Wicki, dem allein durch Brandos unglaublich komplexen -und zu der Zeit fast schon anmaßenden- Verkörperung eines Nazi-Offiziers und der blossen Präsenz eines Montgomery Clifts, zu einem achtbaren künstlerischen Erfolg verholfen wurde.

1958 folgten dreijährige Dreharbeiten für den elegischen Western "One-Eyed-Jack", der auf Charles Neiders Roman "The Authentic Death of Hendry Jones" basiert. Anfangs wurde der, durch seinen dritten Film "The Killing" berühmt gewordene Stanley Kubrick für die Regie vorgesehen.

Doch kollidierten zwei Giganten der Filmkunst miteinander und Kubrick schmiss kurz darauf, das filmische Handtuch um "Spartacus" zu realisieren.

Nach drei weiteren verschlissenen Regisseuren, unzähligen Drehbuchautoren und ohne auch nur ein halbwegs fertiges Drehbuch beschließt Brando die Inszenierung höchstpersönlich in Kombination mit der Titelrolle zu übernehmen.

Nach drei Jahren Drehzeit, unzähligen verbrauchten Rollen Filmmaterial und einem fertig geschnittenem fünfstündigen Film, stößt der epische VistaVision-Western -dessen Plot, mit einer sadistischen Erregung erzählt wird, mit einen entfesselten Brando aufwartet und einer der brillantesten und ästhetisch wertvollsten Bildsprachen der Geschichte bietet- auf wenig Gegenliebe seitens des produzierenden Studios Paramount Pictures und es wird, ohne Zustimmung des Produzenten/Autors/Regisseurs und zentralen Schauspielers des Films, Marlon Brando, eine verstümmelte zweieinhalbstündige Version angefertigt die 1961 spärlich veröffentlicht wird.

Anfang der 1960er Jahre entstanden in Hollywood die beiden bis dahin aufwändigsten und teuersten Produktionen der amerikanischen Filmgeschichte und so spielte Brando sich, immer noch auf dem Höhepunkt seines kommerziellen Schaffens befindend, die Rolle des Meuterers Fletcher Christian im überdimensionalen Remake des Film " Meuterei auf der Bounty " von 1935 -mit Clark Gable in der Hauptrolle- dessen Produzent er gleichzeitig war und bei dem der Brando drei Regisseure verschliss, bis der Film, mit einem verbrauchten Budget von 30 Millionen und lediglich 20 einspielte, beendet werden konnte.

Er brüskiert die Öffentlichkeit mit Beleidigungen und die damalige herrschenden Meinungsmächte mit öffentlichen Solidaritätsbekundungen zu Persönlichkeiten wie Martin Luther King jr., an dessen "March on Washington" er teilnahm, spielt unpopuläre Stoffe wie 1963 "The Ugly American", "Morituri", 1964, mit Yil Brunner und von Berhard Wicki , "The Chase" mit Robert Redford, Jane Fonda und von Arthur Penn anno 1966, "Reflections Of A Golden Eye" mit Elizabeth Taylor, Julie Harris und von John Huston anno 1967 oder "Quemeida" von Gillo Pontecorvo von 1969, die an der brüchigen Oberfläche des amerikanischen Traums kratzten oder wenigstens Ansätze auf sozial Relevantes boten; spielt jedoch aus monetären Gründen auch weiter seichte Rollen in noch leichteren und unbedeutenden Komödien, wie 1964 "Bedtime Story" mit David Niven, der 1967 in die groteske Lächerlichkeit geratene "A Countess from Hong Kong" mit Sophia Loren und von Charlie Chaplin oder der völlig unverständlichen Sex-Farce "Candy" von 1969.

Doch es war, als habe das Kino selbst gespürt, daß es mit Brando noch nicht fertig war - und er nicht mit ihr.

Brando sollte der Welt im folgenden Jahrzehnt, drei der bedeutendsten, ergreifendsten und kunstvollsten Darbietungen in drei der größten Filmen der Filmgeschichte schenken.

Den Anfang, machte, 1972, seine Titelrolle in dem monumentalen Mafiaepos "The Godfather", welcher, in seiner Gesamtheit, in jeder nur erdenklichen Hinsicht Maßstäbe gesetzt hat. Doch Marlon Brando war das pulsierende Herz und die geschundene Seele dieses Films.

Sogar sein Sprachstil, seine Gestik, seine Motorik und seine Maske, ledigliche Oberflächlichkeiten, wurden zu einem kulturellem Phänomen mit ideologischen Konnotationen.

Brando feiert eine fulminante Rückkehr in die Herzen und Köpfe der weltweiten Zuschauer und der großen Hollywoodstudios, denen er mit "The Godfather" ein kommerziell, wie künstlerisches Rekordergebnis bescherte.

Den Oscar, den er 1973 für seine Darstellung des „Paten“ erhalten sollte, nahm Brando nicht an. Stattdessen erklärte die Schauspielerin Sacheen Littlefeather, die er als Sprecherin zur Oscar-Verleihung entsandt hatte, Brando wolle mit dieser Geste auf die unterdrückten Bürgerrechte der Indianer und besonders auf die Protestaktionen aufmerksam machen, die seit Ende Februar in Wounded Knee stattfanden.

Mit dieser neuen Kommerzialität erschlagen und dem Eklat der Oscarverleihung im Rücken, entschließt sich Brando nach Europa zu reisen um mit dem italienischen Regisseur Bernardo Bertollucci, ein halb-biografisches, wie halb-pornographisches Meisterwerk zu drehen. Man beschließt ohne festes Drehbuch zu arbeiten und aus dem emotionalen Reservoir des Schauspielers zu schöpfen.

Brando füllte die Rolle des Paul mit seinem künstlerischem Leben.

Pauls Biografie ist Brandos Filmografie.

Das Zimmermädchen im Film zählt Stationen aus Pauls Leben auf: Er war Boxer, Revolutionär in Südamerika, bereiste Japan und war Seemann auf Tahiti, ehe er in Paris eine reiche Frau geheiratet hat. Das entspricht Brandos Rollen in "On The Waterfront", "Viva Zapata", "Sayonara" und "Meuterei auf der Bounty".

„Ich werd ein Schwein besorgen, und ich werde dich von dem Schwein ficken lassen. Ich will, dass dir das Schwein ins Gesicht kotzt und dass du das Ausgekotzte runterschluckst. […] Das Schwein wird krepieren, wenn es mit dir fickt. Dann will ich, dass du hinter das Schwein gehst, und den Todesfurz von ihm riechst.“, sagt ein losgelöster , 47jähriger Marlon Brando zu Maria Schneider, der runden und fleischlichen 19jährigen mit schweren Brüsten, während er seinen mit Butter verschmierten Penis in ihren Anus führt.

Nach der Uraufführung in New York, 1972, lobte die legendäre Kritikerin Pauline Kael, den "Letzten Tango" mit Überschwang und Superlativen. Der Tag seiner Aufführung habe für die Filmgeschichte die gleiche Bedeutung wie die Premiere von  Igor Strawinskis "Le sacre du printemps" ,1913, für die Geschichte der Musik des 20. Jahrhunderts, ließ sie lauthals verlautbaren. „Es gab keinen Tumult, niemand hat die Leinwand beworfen, aber ich glaube, man kann sagen dass das Publikum in einem Schockzustand war, weil ‚Der letzte Tango in Paris‘ in dieselbe hypnotische Erregung versetzt wie ‚Sacre‘ und dieselbe ursprüngliche Kraft. Bisher hat das Kino nur mechanischen Sex ohne Leidenschaft und Gefühlsgewalt gezeigt. Bertolucci und Brando haben das Aussehen einer Kunstform verändert.“

In Italien sah sich Bertolucci, nach der dortigen Premiere, wegen der drastisch dargestellten und implizierten Erotik, mit einer Anklage wegen Pornografie konfrontiert. Der Regisseur erhielt eine viermonatige Haftstrafe auf Bewährung, zudem wurden ihm aufgrund des Films für den Zeitraum von fünf Jahren die Bürgerrechte aberkannt.

Es vergingen danach sechs lange Jahre, bis sich Brando wieder mit Francis Ford Coppola zusammen tat.

1979 feierte der gemeinsame Film "Apocalypse Now" nach Joseph Conrads "Hearts Of Darkness" seine Weltpremiere in Cannes und erschütterte die Welt, mit einer Gewalt und künstlerischen Virtuosität, die ihresgleichen gesucht hat.

Es war keine Darstellung von Krieg. Der Film war Krieg - und Brando als ein Monstrum von Mensch, mittendrin, als ein wahrhaftiges Naturschauspiel, das unendlich tiefe Grauen vor dem Menschen sichtbar machend. Er konzentrierte seine gesamte Gabe, seine vollkommene Genialität und legte sie dem Film zu Füßen.

Es sollte der letzte Triumph eines großen Künstlers werden.

Von hieran ließ er sich lediglich für uninspirierte Kurz- oder Nebenrollen Rekordgagen in Millionenhöhe auszahlen und frönte der Verachtung seiner Kunst und der Welt auf seinem Südseeatoll.

Seine eigene kleine Rebellion gegen seine eigene große Kunst.

Wie sagte Brando als Cl. Kurtz in Apocalypse Now, "Ich habe das Grauen gesehen. Das Grauen, das auch Sie gesehen haben, aber sie haben kein Recht mich einen Mörder zu nennen. Sie haben das Recht mich zu töten, sie haben ein Recht, das zu tun, aber sie haben kein Recht, über mich ein Urteil zu fällen."


M.B. 1967