Das Prinzip

"Mit der Tugend verzichtet man auf Macht, verliert den Willen zur Macht."  
Friedrich Nietzsche

Im 16.Jahrhundert wurde in Europa ein Meilenstein, auf dem Weg in die Menschenbildung und Machtstruktur der Weltgesellschaft- und Weltpolitik, der historischen und gegenwärtigen Moderne gesetzt. 


Bei diesem Meilenstein handelte es sich nicht um eine große Schlacht, gar einen Krieg oder ein ähnliches Ereignis äußerer Geschichte. 

Es handelt sich um ein geistiges Produkt. 

Eine geheime Schrift, die ab dem Zeitpunkt ihrer Bekanntwerdung, den äußeren Geschichtsverlauf vielleicht konkreter befruchtete als jedwede andere -reine- Ideologie vorher.

Niccolò Macchiavelli war ein Politiker, Diplomat und Philosoph im Florenz der Renaissance und stand in enger Beziehung mit dem Herrschergeschlecht der Medici, aus dem zahlreiche Fürsten und mehrere Päpste hervorgingen. Einem dieser Fürsten, Lorenzo de Medici, überreichte Machiavelli, anno 1513, eine- ihm gewidmete- Schrift mit dem Titel "Il Principe",-Der Fürst-, die erst fünf Jahre nach seinem Tod veröffentlicht wurde und in dem Machiavelli beschreibt, wie ein Herrscher politische Macht gewinnen und bewahren kann, wobei das politische Ziel eine Republik sein soll. Die Erhaltung und Machtsteigerung dieses Staates sei jedoch so zentral, dass Machiavelli den Fürsten vom Zwang, nach ethischen Normen zu handeln, befreien wollte. 

Obwohl er den Begriff noch nicht verwendete, begründete Machiavelli damit den philosophischen Gedanken der realpolitischen Staatsräson. 

In Machiavellis Auffassung verläuft die Geschichte zyklisch. Zunächst befindet sich eine Gesellschaft in Anarchie oder einer tiefen Krise. Diese wird durch die Herrschaftserrichtung eines Anführers überwunden, welcher dann feste Institutionen schafft. In einem weiteren Schritt konsolidiert er dieses politische Gebilde, doch um ihm Festigkeit zu verleihen, muss es in eine republikanische Form gebracht werden. Sobald sich die Bürger mit diesem Gemeinwesen identifiziert hätten, wäre der Zenit der „Entwicklung“ erreicht: der „Abstieg“ -durch den „Verfall der Sitten“ einsetzend- müsse dann früher oder später beginnen. Anfangs bei den herrschenden Schichten- und mündet, mit dem „Verfall der Institutionen“ , in sein vorläufiges Ende: einer tiefen Krise oder gar in Anarchie.

Machiavelli brach so radikal mit der Tradition der christlichen Staatstheorie.
Er antizipierte die Heraufkunft oder die Wiederkehr einer rein säkularen Welt, deren Prinzipien sich von den Geboten der Kirche emanzipieren und abwenden. Er lehnte die auf das Jenseits fixierte Ethik des Mittelalters ab und griff statt dessen auf die antike Vorstellung zurück, wonach der Staat einen Wert für die Bürger haben soll - gleichzeitig ersetzt jedoch in dieser Schrift das abstrakt herrschende Bild des humanistischen universalen Menschen der Antike, der von Natur aus über Würde, Toleranz, Gewaltfreiheit und Gewissensfreiheit verfügt über den Ur-Sündigen Knecht Gottes.

Er individualisierte die Menschen, indem er- für sich- die Feststellung machte, dass jeder einzelne Mensch spezielle Bedürfnisse und Verlangen habe. 

Die treibende Kraft sei ihre Ambition, ihre politische Energie, ihr egozentrisch ausgeprägten Tatendrang- ihre, um mit Machiavelli zu sprechen, „virtù“, zu deutsch etwa die "Tüchtigkeit" oder "Tapferkeit".

Aus diesem Grund, seien die Menschen nicht von Natur aus "Gut" oder "Böse", sondern werden es lediglich durch die Art und Weise, wie sie ihre Ambitionen verfolgen. 

Das grundlegende Gefühl, welchen man jedem Menschen jedoch gegenüber bringen solle, sei Misstrauen, da die meisten von ihnen zum Bösen tendieren, denn in erster Linie seien die Menschen immer „undankbar“, - selbst gegen ihre „Wohltäter“, und lediglich ein "gewisses Ehrgefühl“ halte sie davon ab, ihren "Wohltätern" zu schaden. „Denn es ist wohl festzustellen, dass die Menschen entweder gütlich behandelt oder vernichtet werden müssen. Wegen geringer Unbill rächen sie sich, wegen großer Vermögen sie es nicht; jede Unbill muss also so zugefügt werden, dass man keine Rache zu befürchten hat“, rät Machiavelli in seinem Werk. 

Dieses Werk offenbart aber auch das Dilemma eines Machtmenschen, der in einer Welt regieren will, die bereits bedeckt ist mit unzähligen anderen machtgetriebenen "Fürsten".

Um ein "guter" Herrscher zu sein, führt Machiavelli aus, bedarf es zweierlei Charakteristika, die er an der Tierwelt festmacht: Der Fürst muss den Löwen und den Fuchs verinnerlicht haben. Einerseits den Fuchs als Symbol für die Klugheit und List, die benötigt wird, um immer das Beste für sich selbst herauszuschlagen, auch wenn dafür ein gegebenes Wort oder ein Vertrag gebrochen werden muss, sowie andererseits den Löwen als Symbol für die Abschreckung und Einschüchterung, die von dem Herrscher ausgehen soll. 
Denn noch besser als geliebt zu werden ist es laut Machiavelli, gefürchtet zu werden.

Im Laufe der Jahrhunderte gab es zahlreiche Interpretationen dieser Ideologie – von Bertrand Russells Charakterisierung des im Werke dargestellten „Fürsten“ als „Handbuch für Verbrecher“, über eine marxistische Interpretation als „adelige Dialektik der Macht“ bis hin zur feministischen Lesart als „Politdrama zwischen maskulinen Geschäften der Politik und der schwankenden Macht der Fortuna“.

Wie auch immer die Lesart ausfallen sollte - es zeigt sich, dass für Moral, Skrupel oder gar Ethik, in einem machiavellistisch-geprägtem Weltbildes- wie bei dem aktuell herrschenden- kein geigneter Raum besteht.

Nie war seine Lektüre jedoch gefährlicher als heute.
„Nationen, die man unterworfen hat, muss man entweder glücklich machen oder vernichten.“
Kein guter Rat für "Fürsten" mit Wasserstoffbomben.