Zeitgeist Kinematograph Edition No. I

 Der duldende Mensch

"Ein Mensch voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. (...) Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. (...) Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt" (Jesaja 53) 
Der anno 2004 erschienene, von Mel Gibson produziert, geschrieben und inszenierte Film „The Passion of the Christ“ ist- ihn rein sachlich und film-analytisch zu betrachten- ein fast schon zum Scheitern verurteiltes Unterfangen, da dieser Film viel eher einer emotionalen Erfahrung nahe kommt, einer Tour-de-Force menschlicher Schwächen und Stärken, als einem filmischen Vorzeige- oder Lehrstück.

Rein cineastisch gesehen, ist die filmische Passion Christi kein klassisch-originelles oder innovatives Werk, welches mit einer komplexen Filmsprache hantiert oder gar eine Evolution innerhalb der Kunst darstellt.

Doch ist dies kein Maßstab, den man anwenden kann und darf, um über genuine Qualität und wahre Kunst zu sprechen. 

So mag man dem Film weiterhin vorwerfen können, alles andere als subtil und objektiv erzählt und inszeniert zu sein, doch auch dies ist bei weitem kein alleingültiger Maßstab für Qualität und Anspruch innerhalb der filmischen Kunstformen. 

Ein Film sollte nur sich selbst künstlerische Rechenschaft schuldig sein. Authentizität und filmische Qualität wird nicht durch extern bestätigte Normen oder Fakten gewährleistet, oder gar durch akademische Dogmen, sondern lediglich durch Potenz und Stringenz der eigenen schöpferischen Logik und Ästhetik des Werkes. 

Somit ist selbstverständlich auch der theologische und historische Sach- und Wahrheitsgehalt, innerhalb dieser Betrachtungsweise, nicht nur von untergeordneter Natur, sondern komplett irrelevant, da diese Erzählung, an sich, eine hochmythologische ist, die grundsätzliches und zutiefst menschliches ans Licht bringt: 

Die Geschichte einer außerordentlichen Leidensfähigkeit, die jedem fühlendem Wesen immanent ist und durch die es erst möglich ist, Liebe zu erfahren und zu geben. 

Den urmenschlichen Willen, welcher seinen Ursprung im Kampf zwischen Wirklichkeit und Anspruch hat. Der nicht nur sich selbst verletzt und zerstört aus dem Wunsch heraus, die eigene Wirklichkeit anders gestalten zu wollen.

Die Figur des Jesus von Nazareth, wie sie im Film genialisch von James Caviezel dargestellt wird, ist keine dramaturgische Figur im allgemeinen Sinne.

Jesus ist hier kein Symbol, kein Mythos, kein Prophet. 

Jesus ist Mensch. Er ist sich einer erhöhten Sendung bewusst, doch scheint sein tragender Antrieb ein über alle Maßen persönlicher zu sein. Und hierin liegt die Seele und Größe des Films.

Er ist ein fatalistisches und beinahe übermenschlich sensibles Individuum, welches sich einer persönlichen Wahrheit bewusst geworden ist: Um eine Realität zu überwinden, hin zu seinem Ideal, bedarf es der Transzendierung des körperlichen und geistigen Schmerzes, hin zum Mit-leiden-wollen. Es bedarf dafür, einer ungeheuerlichen Demonstration menschlicher Grausamkeit, um den Menschen die knapp bemessenen Grenzen ihrer Humanität und die endlosen Weiten ihrer Bösartigkeit vor Augen zu führen. 

Es ist somit keine Lehre, die den Großteil der Menschen weckt und sie inspiriert. 

Es ist der Wille des Lebens an sich. Der Wille der uns treibt, der Wille der uns ängstigt, der Wille der uns zerstört. Der Wille der uns lieben, der uns glauben und der uns hoffen lässt.

Unter dieser Prämisse, ist es filmisch durchaus angebracht, die Leiden und Schmerzen dieser Figur dramaturgisch zu konzentrieren, sie gar auf eine reine Ästhetik der menschlichen Grausamkeiten zu brechen und durch eine extrem naturalistische Gewalt und Sadismusporträtierung der Geißelungen, in einen post-modernen Horror- und Snuff-Kontext zu stellen.

Die meisterhafte Gegenüberstellung der Montage- die innerhalb der epischen Folterungen zwischen meditativen Bild- und Szenen-Fragmenten der jüngeren Vergangenheit oszilliert - kontrapunktiert die Höhe und Intensität, mit der wir Zeuge dieser übermenschlichen Grausamkeiten werden und lässt uns an einer Zelebration von persönlichen und äußerst intimen Erinnerungen teilhaben, die in diesem schmerzerfülltem Moment wie ein Geschenk des Lebens erscheinen. Ein Geschenk des Friedens und der Liebe. Der Ruhe und der Achtung. Der Achtung vor dem Leben.

Doch in unseren zivilisierten Zeiten, in denen uns solche Grausamkeiten in unserem Alltag fern sind- in unserem medialen Alltag jedoch omnipräsent- laufen sie Gefahr zum reinen Unterhaltungszweck zu verkommen.

Dies liegt jedoch nicht in der Verantwortung oder Absicht des Filmes.

Es ist der Zuschauer, der dem was er sieht, letzten Endes, einen Kontext gibt.

 James Caviezel


Wie die Zuschauer bei Golgatha.